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Unsere Flechten - meist unbeachtete Schönheiten

Überall in unserer Umgebung sind Flechten (lat. Lichenes) zu finden: Auf der Rinde lebender Bäume und Sträucher, auf Totholz, Moosen, Steinen, alten Knochen, Dachziegeln, Mauern oder auf dem Boden wachsen sie meist unbemerkt. Dabei ist ihre Biologie interessant und ihre Funktion für die Ökosysteme wichtig.

Insgesamt ca. 16.000 verschiedene Flechtenarten gibt es, fast alle Bereiche der Erde sind besiedelt, sogar in der Antarktis sind einige hundert Arten zu finden. In Bayern sind über 1600 Arten erfasst, 32% davon gelten als gefährdet.

Flechten bestehen aus zwei in Symbiose zusammen lebenden Organismen, einem Pilz (meist ein Schlauchpilz) und einem Photosynthese betreibenden Partner (Photobiont). Meist sind das Grünalgen oder Blaualgen (Cyanobakterien). Die Zusammensetzung der beiden Partner ist bei jeder Flechtenart spezifisch und immer gleich. Die Flechtenpilze sind nur in Flechten zu finden, die Flechtenalgen können auch solitär vorkommen.

Für die Ernährung der Flechte mit organischer Substanz (z.B. Zucker) ist der Photobiont verantwortlich, denn Pilze können keine organischen Substanzen bilden. Dafür umhüllt der Pilzkörper die Algenzellen und schützt sie vor Austrocknung.

Den sichtbaren Flechtenkörper nennt man Lager oder Thallus. Anhand der verschiedenen Formen dieses Lagers unterscheidet man die höchst unterschiedlichen Krusten-, Strauch- und Blattflechten. Krustenflechten sind eng mit dem Substrat verbunden auf dem sie wachsen. Die Strauchflechten sind nur an einigen Stellen festgewachsen und können sehr lang werden. Zu ihnen gehören auch die Bartflechten, die man an Bäumen im Gebirge findet. Die zu den Blattflechten gehörenden Gallertflechten dagegen haben in feuchtem Zustand eine eher glibberige Konsistenz.

Krustenflechten wachsen sehr langsam, ca. 0,5-2 mm pro Jahr. Anhand der Messung ihres Durchmessers kann man annähernd ihr Alter bestimmen. Das ist z.B. spannend im Hochgebirge, denn anhand der Flechten kann man damit auch bestimmen, wie lange schon ein Felsbrocken auf einer Fläche liegt. Neue hinzugekommene Steine hingegen zeigen noch keinen Flechtenbewuchs.

Die oft auch auf Obstbäumen wachsenden Flechten werden von manchen Gärtner*innen mit Drahtbürsten entfernt, dabei dienen sie dem Schutz der Rinde vor Hitze, Kälte und Trockenheit und schützen den Baum so vor Rissen und Wunden.

Flechten können zahlreiche Stoffe bilden, die zum Färben oder als Duftstoff (Irish Moos) eingesetzt oder in der Medizin verwendet werden. Manche Arten produzieren antibakteriell wirksame Stoffe, diese Flechten wurden schon von den alten Ägyptern bei der Mumifizierung verwendet.

Das Isländisch Moos (kein Moos, sondern auch eine Flechte) wird für die Herstellung von Hustenpastillen verwendet. Manche Flechten kann man mahlen und als Mehlersatz essen. Auch Alexander von Humboldt hat in seinem Reisebericht von den Kanarischen Inseln davon berichtet, dass für die arme Bevölkerung Flechtenmehl ein wichtiges Nahrungsmittel war. Eventuell war auch das biblische Manna ein Flechtenmehl.

Die Fortpflanzung der Flechten erfolgt generativ nur über die Pilze, die Fortpflanzung der Algen ist dabei unterdrückt. Der Thallus bildet Fruchtkörper, die Sporen bilden. Diese können sich ausbreiten und keimen, müssen dann aber wieder auf den geeigneten Algen-Partner treffen, damit sich eine neue Flechte bilden kann.

Die viel einfachere vegetative Verbreitung erfolgt durch Ablösung eines Lager-Stückes. Damit dieses Bruchstück an einem anderen Ort weiterwachsen kann, sind bestimmte Umweltbedingungen nötig.

Die Umweltbedingungen für das Leben der einzelnen Flechtenarten können höchst unterschiedlich sein. Manche Flechten vertragen keinen Regen und leben unter Felsüberhängen. Andere Arten benötigen feuchte Lebensräume. Im allgemeinen reagieren Flechten auf Trockenheit nicht besonders empfindlich, sie können sich zum Teil nach Jahren ohne Wasser wieder erholen. Im trockenen Zustand überleben Flechten sogar Temperaturen bis -200 Grad. Aber die zunehmende dauerhafte Trockenheit an manchen Orten schränkt das Wachstum und die Fortpflanzung schon jetzt stark ein.

Andere Arten leben auf Altmetall oder gar auf radioaktivem Abraummaterial. Schwermetalle oder radioaktive Stoffe in der Luft schaden den Flechten meist nicht, werden aber eingelagert und angesammelt. So sind z.B. in Sibirien während und nach den russischen Atomversuchen unzählige Rentiere, die stark radioaktiv belastete Rentierflechten gefressen haben, an Knochenschwund verendet. Noch heute sind diese Tiere in Russland und Sibirien hoch belastet.

Hingegen reagieren viele Arten äußerst empfindlich auf Veränderungen der chemischen Bedingungen. Flechten nehmen Luft und Regenwasser ungefiltert auf, dadurch können dort enthaltene Schadstoffe das labile Gleichgewicht zwischen Pilz und Alge stören. Die Flechten können keine Nährstoffe mehr bilden und aufnehmen, das Wachstum wird reduziert und die Vermehrung beeinträchtigt. Letztendlich sterben die Flechtenkörper ab.

Besonders der flächendeckend steigende Eintrag von Stickstoffverbindungen, Aerosolen von Schwermetallen oder Pflanzenschutzmitteln (und früher auch Schwefeldioxid) lässt viele Arten absterben, andere Arten profitieren dagegen von mehr Stickstoff und können sich besser ausbreiten. Gerade im Alpenstauraum ist der Stickstoffeintrag besonders hoch und übersteigt an vielen Stellen den kritischen Wert für Waldökosysteme von 5-6 kg/ha und Jahr, der auch für Flechten äußerst problematisch ist.

Die Artenzusammensetzung verändert sich also besonders dort erheblich, wo Straßenverkehr, intensive Landwirtschaft oder Bebauung (Abgase aus Hausbrand) in der Nähe den Schadstoffgehalt der Luft erheblich ansteigen lassen. In Industriegebieten findet man fast gar keine Flechten mehr. Mehr Stickstoff führt auch zu einem stärkeren Wachstum von Moosen und Krautpflanzen, wichtige Flechtenlebensräume werden dabei überwuchert.

Flechten sind also auch ein wichtiger Zeiger für Veränderungen in der Luftqualität, durch die oft weite Verfrachtung der Schadstoffe verschwinden selbst in abgelegenen Bergregionen Bayerns nach und nach die Stickstoff-empfindlichen Arten. Die sensiblen Bartflechten findet man immer seltener an den Bäumen in den Alpen - richtig saubere Luft gibt es nur noch an wenigen Stellen. Und wo wegen mangelnder Luftqualität Flechten nicht leben können ist auch die menschliche Gesundheit in Gefahr!

Flechten gehören zu den am stärksten bedrohten Organismengruppen Europas. Das liegt aber nicht nur an der zunehmenden Umweltverschmutzung und vor allem Luftverschmutzung, sondern auch am Verschwinden seltener Lebensräume wie Felsschuttfluren in den Alpen, Magerrasen, Mooren, alten und unberührten Baumbeständen (Urwald) oder Totholz. Alle Flechtenarten, die auf diese speziellen Lebensräume angewiesen sind, nehmen ab. Heute gelten nur noch 7% der heimischen Arten als häufig, 250 Arten sind schon ausgestorben.

Eine Ökologisierung der Landwirtschaft mit Reduktion der Stickstoffüberfrachtung, Schutz und Schaffung seltener Biotoptypen und die Ausweisung von großflächigen Schutzgebieten würden nicht nur unserer Flechtenflora helfen, sondern dem gesamten Netzwerk unserer Ökosysteme und letztendlich natürlich auch uns Menschen.