Flugmode – nicht (nur) für Stewardessen
Die Älteren von uns erinnern sich vielleicht noch an die zwei Samstage im späten Frühjahr und Herbst, an denen die ganze Familie in die Stadt gefahren ist, um Ersatz für die Kleidung zu kaufen, die kaputt ging oder aus der man in der einen oder anderen Richtung herausgewachsen war. Heute kauft jeder Deutsche im Durchschnitt 60 Stücke Oberbekleidung pro Jahr – also mehr als ein Stück pro Woche. Billig und viel kaufen, kurz oder nie tragen, schnell wegwerfen – so sollen wir mit Mode umgehen, wenn es nach den Vorstellungen von Konzernen wie Inditex oder Shein geht.
In den letzten Jahren hat sich die Modewelt drastisch verändert. Immer günstigere Preise und ständig wechselnde Kollektionen sind zur Norm geworden. Marken wie Zara bringen bis zu 24 neue Kollektionen pro Jahr in die Läden. Die Marke gehört mit vielen anderen zum spanischen Konzern Inditex, Pionier und mit einem Jahresumsatz von über 32 Milliarden Euro (2022) Marktführer im Bereich Fast Fashion. Inditex rühmt sich, seine weltweit 5815 Shops (Stand Ende Januar 2023) zweimal die Woche mit neuen Kleidern zu beliefern. Design, Produktion und Auslieferung eines neuen Teils schaffen Marken wie Zara oder Pull & Bear in drei bis vier Wochen. Solche kurzen Produktions- und Lieferfristen machen es erst möglich, Modezyklen auf wenige Wochen zu verringern und Konsument*innen das Gefühl zu vermitteln, sie bräuchten ständig etwas Neues, um keinen Trend zu verpassen.
Denn darauf setzt die Verkaufsstrategie von Zara, die ein früherer Inditex-Manager vor Jahren so definiert hat: «Wir wollen, dass unsere Kundschaft versteht, dass sie etwas, was ihr gefällt, sofort kaufen muss, weil es nächste Woche vielleicht nicht mehr erhältlich ist. Das Angebot in den Läden muss immer knapp sein, sodass die Gelegenheit zum Kauf günstig erscheint.» Der chinesische Online-Gigant Shein bringt es sogar fertig, neue Kleidungsstücke innerhalb einer Woche vom Entwurf bis zur Auslieferung zu bringen. Täglich (!) erscheinen mehr als tausend neue Teile im Onlineshop.
Für diese Modezyklen ist eine Schiffsfracht der Billig-Klamotten, die von Asien bis Europa fünf bis sechs Wochen benötigt viel zu langsam – nur das Flugzeug ist schnell genug. 2022 hat allein die EU laut ihrer Handelsstatistik per Flugzeug 387'009 Tonnen Kleidung, Textilien und Schuhe importiert und 346'778 Tonnen exportiert. Das entspricht der Ladekapazität von 7000 bis 7500 grossen Frachtflugzeugen, also rund 20 reinen Modefrachtflügen pro Tag. Unabhängig vom Ort der Produktion landen bei Inditex praktisch alle Artikel in den grossen Verteilzentren, die der Konzern rund um den spanischen Flughafen Zaragoza betreibt. Das Aushängeschild ist das zentrale Logistikzentrum Plaza in der Nähe des Flughafens Zaragoza; es funktioniert im Vierschichtbetrieb, 360 Tage im Jahr. In Zaragoza werden für Inditex jede Woche rund 32 Frachtflüge mit rund 100 Tonnen Kleidern an Bord abgefertigt. Das sind weit über 1600 Flugbewegungen pro Jahr.
Selbst innerhalb der EU wird Mode geflogen, wenn das Zielland mit dem LKW nicht schnell genug erreicht werden kann: 2022 waren es mindestens 42'658 Tonnen - da Waren EU-intern nicht verzollt werden, sind die Statistiken hier lückenhaft. Inditex setzt sich für den Landtransport eine Grenze von maximal 36 Stunden. Ist die Fahrzeit länger, fliegt die Ware in Passagierflügen mit. Am Flughafen Barcelona beispielsweise sorgt die Modebranche seit Jahren für die grössten Frachtvolumen.
Bei jener Flugmode, die nicht an Verteilzentren, sondern in Form von Einzelpaketen direkt an Konsument*innen versandt wird, ist die Datenlage schlecht. Der Onlinehändler Shein etwa verschickt gewaltige Mengen Mode direkt aus China per Luftpost an die Privathaushalte in aller Welt, doch die Handelsstatistiken sind bei solchen Kleinwarensendungen leider unscharf.
Im Durchschnitt der Modeindustrie machen Transporte gemäss einer Studie der Schweizer Umweltberatungsfirma Quantis im Durchschnitt rund 3 % der Treibhausgasemissionen aus; der weitaus grösste Teil entfällt auf die Produktion der Rohstoffe und deren Verarbeitung. Doch bei Flugmode steigt der Anteil des Transports drastisch: Die transportbezogenen Treibhausgasemissionen eines mit Luftfracht transportierten Kleidungsstücks sind rund 14-mal höher als bei einem Teil, das überwiegend per Seefracht transportiert wurde. In absoluten Zahlen: Für den Transport eines Langarm-Shirts von Bangladesh nach Spanien steigt der CO2-Fußabdruck von 0,29 kg auf stolze 4 kg. Daher liegt der Transportanteil der Treibhausgasemissionen beim Zara-Konzern laut Geschäftsbericht 2021 bei 10,6 %; 2022, nach dem Wegfall des Russlandgeschäfts, immer noch über 8 %. Inditex scheint die Problematik der klimaschädlichen Flugtransporte verbergen zu wollen: Im Jahresbericht 2022 schreibt das Unternehmen bezüglich der Emissionen nur vage von einer «Überprüfung der Transporte» und einer «Suche nach alternativen Transportmitteln». Die Maßnahmen zur Reduktion des ökologischen Fußabdrucks fokussieren auf andere Bereiche der Wertschöpfungskette, etwa die Reduzierung des Wasserverbrauchs.
Flugmode begünstigt das Aufteilen in kleine Teilaufträge. Die Modekonzerne prüfen erst mal, wie Artikel bei der Kundschaft ankommen. Jene, die gut laufen, werden in raschem Tempo nachbestellt und, wenn es besonders eilig ist, eingeflogen. Läuft ein Artikel nicht, bleiben die Folgeaufträge aus. Besonders drastisch ist dieses Produktionsmodell bei Ultra-fast-Fashion-Unternehmen wie Shein, wo Bestellungen von lediglich 100 bis 150 Kleidungsstücken häufig vorkommen und von den Fabriken erwartet wird, große Stückzahlen in wenigen Tagen nachliefern zu können. 75-Stunden-Wochen für die Näher*innen sind die Folge.
Während Unternehmen wie Inditex und Shein von vornherein mit Luftfracht planen und die Kapazitäten dafür auch selbst organisieren, führen in anderen Fällen unfaire Vertragsbedingungen zu ungeplanten Flugtransporten. Einige Modefirmen verhandeln so kurze Lieferfristen, dass praktisch keine Zeitreserven bleiben, falls nach Musterkontrolle noch Änderungswünsche kommen, die Produktionsfreigabe verzögert wird oder Material nicht rasch verfügbar ist. Die von den Bestellern vorgegebenen Lieferbedingungen sehen oft hohe Vertragsstrafen vor, sobald das vereinbarte Lieferfenster nicht eingehalten wird. Um nicht noch mehr Geld zu verlieren, wechseln Lieferanten unter Druck auf Luftfracht, und das auf eigene Kosten.
Nach Ansicht der Kreisgruppe des BUND Naturschutz muss Luftfracht auf wirklich wichtige Dinge wie Medikamente oder dringend benötigte Ersatzteile reduziert werden. Mode gehört da definitiv nicht dazu: Mode um die halbe Welt zu fliegen, ist angesichts der Klimakrise eine völlig unnötige Belastung unserer Umwelt.
Mode käme auch ohne Luftfracht weiterhin in die Läden. Ja, die Modetrends bräuchten ein paar Wochen länger, bis sie in den Auslagen landen. Das wäre aber kein Verlust, sondern eine Chance für bewussteren Konsum und langlebigere Designs. Lassen wir uns von den Modekonzernen nicht länger manipulieren und für dumm verkaufen. Wir sind nicht darauf angewiesen, jedem von ihnen im Wochenrhythmus hinausposaunten Modetrend sofort zu folgen – auch nächste Woche wird es wieder einen neuen Modetrend geben.
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Die Daten zur Luftfracht stammen aus Recherchen des Schweizer Vereins Public Eye. Die Veröffentlichung finden Sie hier.
Eine repräsentative Umfrage zu Kaufverhalten, Tragedauer und Nutzung der Alternativen zum Neukauf von Mode wurde von Greenpeace erstmals 2015 durchgeführt und 2022 wiederholt. Sie ist hier zu finden.