Mehr Licht?
„Mehr Licht!“ waren nach der Überlieferung Goethes letzte Worte. Auch wenn er ein großer Naturforscher war – an das Licht auf dem Waldboden wird er dabei nicht gedacht haben. Aber was passiert mit der Artenvielfalt und mit der Naturverjüngung, wenn mehr oder eben weniger Licht auf den Waldboden fällt? Dieser Frage ging die Kreisgruppe Traunstein des BUND Naturschutz in Bayern e.V. auf ihrer sechsten Waldexkursion in den Klosterwald Maria Eck nach. Die Veranstaltung fand erneut in Zusammenarbeit mit dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Traunstein statt. Als kompetente Ansprech- und Diskussionspartner für die rund 20 Teilnehmer begleitete der vor Ort zuständige Revierförster Josef Gambs die Exkursion. Dabei streiften die intensiven Fachgespräche noch viele weitere Themen.
Der Organisator der Veranstaltung, Herr Rutkowski, berichtete in seiner Begrüßung von Forderungen aus den Siebziger Jahren, mehr Licht in die Wälder zu bringen und etwa 10 % der Waldfläche in Lichtungen umzuwandeln. Aus heutiger Sicht wirken diese Forderungen eher skurril. Sie stehen aber am Anfang eines aus Sicht des Naturschutzes wichtigen Umdenkprozesses in der Bewirtschaftung. Der dabei heute erreichte Stand wurde bei der Exkursion anschaulich.
Die Flächen des Klosters Maria Eck gingen nach der Säkularisation durch verschiedene private Hände. Dabei wurde der damals vorhandene Wald geschlagen, aber später wieder angepflanzt. Erst 1891 gingen die Flächen wieder in kirchlichen Besitz über. Die ältesten Teile des Waldes sind also rund 140 Jahre alt.
Herr Leitenbacher, Leiter des Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Traunstein ging in seiner Einführung auf die Absorption des Lichtes durch die Pflanzen ein. Aus dem breiten Spektrum von Wellenlängen zwischen Ultraviolett (280nm) und fernem Infrarot (über 3000nm), das den Erdboden erreicht absorbieren die grünen Pflanzen im blauen und gelben bis roten Lichtbereich bis zu 95%. Lediglich der grüne Spektralanteil wird nur zu etwa 75% absorbiert. Der Rest wird reflektiert oder dringt durch die Blätter, die daher grün erscheinen. Die Energie des sichtbaren Lichts reicht für die in der Photosynthese ablaufenden photochemischen Prozesse aus, die auf blaues und insbesondere rotes Licht optimiert sind. Die Energie des Infraroten Lichts reicht dagegen für diese Prozesse nicht aus. Pflanzen absorbieren nur etwa 10% des auftreffenden IR-Lichts und vermeiden damit eine zu starke Aufheizung. Immerhin entfällt rund die Hälfte des am Erdboden auftreffenden Lichtenergie auf den infraroten Bereich. Die hohe Reflexion in diesem Bereich trägt maßgeblich zum Gefühl eines kühlen Schattens im Wald bei. Im Schatten des Waldes kommt nicht nur weniger Licht als außerhalb des Waldes auf dem Erdboden an, auch sein Spektrum ist verändert.
Auf der ersten besichtigten Fläche wurde über einen längeren Zeitraum mit kleinen Maßnahmen Holz geschlagen, ohne dass eine Vorausverjüngung vorhanden war. Auf der Fläche hat sich eine dichte Hochstaudenflur entwickelt. Stickstoffzeiger weisen auf einen guten Boden hin. Trotzdem findet sich nur wenig Aufwuchs: Selbst von Pionieren wie Birke und Weide wachsen nur wenige Exemplare. Dies zeigt, dass es selbst für diese Vorwaldbaumarten schwierig ist, ihrer Aufgabe einer möglichst schnellen Wiederbewaldung von Kahlflächen gerecht zu werden. Auch bei guten Bedingungen von Boden und Licht ist es schwierig, Wald neu zu begründen. Dabei behindern die Stauden, die im Herbst verwelken, den Aufwuchs nicht annähernd so stark wie die reichlich aufkommenden Brombeeren. Sie überwuchern die jungen Bäume und drücken sie unter der Schneelast mit zu Boden. Die wintergrünen Blätter der Brombeere tragen wesentlich zu diesem Effekt bei, sind aber andererseits eine wertvolle Nahrungsquelle für Tiere, gerade auch Rehe, im Winter. Eine Pflanzung auf dieser Fläche würde einen sehr hohen Pflegeaufwand nach sich ziehen. Die jungen Bäume müssten mehrmals im Jahr freigeschnitten werden.
Auch an der zweiten Station der Exkursion konkurrieren Stauden und junge Bäume um den Platz an der Sonne. Herr Gambs wies auf die verschiedenen Lichtbaumarten hin, die auf dieser Fläche wachsen. Rechnet man die Blütenpflanzen und die vielen Insekten hinzu, ergibt sich der Eindruck einer hohen Artenvielfalt auf kleiner Fläche. Herr Gambs stellte aber auch heraus, dass dies nicht von Dauer sein wird. Die natürliche Entwicklung wird auf diesem Standort und der Höhenlage von ca. 850 m langfristig auf eine Buchenwaldgesellschaft mit Tanne (vereinzelt Fichte und evtl. Edellaubhölzer) hinauslaufen.. Die Lichtbaumarten wie eine Eiche würden von diesen höher wachsenden Baumarten überwachsen und in den Schatten gestellt. Eine langfristige Chance hätte die Eiche nur z.B. am Wegrand oder Waldrand oder durch ständige menschliche Eingriffe zu Lasten von Buche, Tanne, Fichte.
Diese natürliche Entwicklung zu einer Schlusswaldgesellschaft wurde auch an der dritten Station, einem älteren, auf Buche und Tannen gegründeten Mischwald in Hanglage deutlich. Dort, wo sich einzelne Lichtinseln ergeben, wenn ein Baum oder eine kleine Gruppe fehlt, ist zunächst die Tanne im Vorteil. Ohne Eingriff würde sie aber von der schneller wachsenden Buche verdrängt. An dieser Station ergaben sich mehrere Diskussionen:
Herr Rutkowski stellte fest, dass die natürliche Waldgesellschaft deutlich artenärmer ist als die Zusammensetzung in der offenen Lage. Sie ist damit nicht per se weniger wertvoll, wie ja auch die artenarme Vegetation eines Hochmoors als besonders wertvoll angesehen wird. Unsere Gesellschaft benötigt aber einen sachlichen Diskurs, welche Ziele wir im Wald anstreben. Wie Herr Schindler, 1. Vorsitzender der WBV Traunstein, feststellte, sei das Ziel einer hohen Artenvielfalt nur mit Eingriffen des Menschen zu erreichen. Die wirtschaftliche Nutzung des Waldes ist im Bereich des Privat- und Körperschaftswaldes auch in der Position des BUND Naturschutz selbstverständlich. Wichtig ist, dass diese Nutzung im Rahmen einer naturnahen Bewirtschaftung erfolgt und dass wir Holz nicht als Wegwerfartikel betrachten. In der Diskussion um unseren Energieverbrauch bietet der Holzbau in vieler Hinsicht Möglichkeiten zum Energiesparen. Er ist auch ein gutes Beispiel für eine anzustrebende langfristige Nutzung von Holz.
Herr Leitenbacher ging an dieser Stelle auch auf das bereits angesprochene Umdenken ein. Früher erfolgte die Nutzung des Waldes vom Rand. Die Flächen wurden anschließend eingezäunt und neu bepflanzt. Diese Wirtschaftsform begünstigte die Fichte. Die Altbestände waren dunkel, der Boden mit einer dichten Schicht Nadelstreu bedeckt und ohne Vegetation oder Jungbestand. Aus dieser Situation heraus kam es zu der Forderung nach mehr Licht im Wald. Heute wird ein Dauerwald mit einer Entnahme einzelner Bäume und einer Verjüngung auf der ganzen Fläche unter dem Schirm des Altbestands angestrebt. Auch im Fall eines Schadens durch Sturm, Schneebruch oder Forstschädlinge bleibt die Fläche bewaldet, die vorhandene Verjüngung kann im Licht aufwachsen.
Entscheidende Voraussetzung hierfür sei nach übereinstimmender Meinung ein durch die Bejagung regulierter Wildbestand, der diese Verjüngung auch von z.B. Tanne und Ahorn auf der ganzen Fläche ohne Einzäunung zulasse. Ein naturnaher Wald mit Deckung in der natürlichen Verjüngung bietet im Übrigen Lebensraum für mehr Tiere als ein strukturarmer Forst.
Herr Rutkowski wies darauf hin, dass wir uns im Bayern fast überall, auch im Alpenraum, in einer vom Menschen geprägten Kulturlandschaft bewegen. Weitere Diskussionsbeiträge hielten fest, dass sie uns als schön und erstrebenswert erscheint, weil wir sie kontrollieren und sie für uns nicht (mehr) gefährlich ist. Daran schloss sich die Frage an, ob unsere Gesellschaft überhaupt bereit für eine echte Wildnis wäre. Zu dieser Wildnis würden natürlicher Weise auch die Beutegreifer Luchs, Wolf und Bär gehören, die in unserer Gesellschaft aber vielfach nicht akzeptiert sind.
An dieser Station konnte Herr Leitenbacher auch der Unterschied zwischen dem Mischwald, der sich über lange Zeit entwickeln konnte und einer benachbarten Fläche mit einer etwa fünfzigjährigen Fichten-Erstaufforstung verdeutlichen. Auch diese Fläche bekommt Licht, vor allem seitlich aufgrund des nur noch schwach ausgeprägten Waldrands. Im Unterwuchs entwickeln sich unter anderem Brombeere und Holunder, der Waldboden ist auch hier grün. Trotzdem gehört dieser Wald nur einer Altersklasse an und ist deutlich strukturärmer. Der Lichteinfall alleine ist nicht hinreichend für die natürliche Verjüngung. Es braucht vielmehr auch die Artenvielfalt bei den Mutterbäumen im Altbestand sowie eine gut entwickelte waldtypische Bodenstruktur.
Einen erfolgreichen Umbau eines Fichtenbestands in einen Mischwald aufgrund natürlicher Verjüngung konnte Herr Gambs an der vierten Station zeigen. Die Verjüngung wurde bereits in der Forsteinrichtung festgelegt und durch Entnahme kleiner Gruppen umgesetzt, ohne die Stabilität des Altbestands zu gefährden. In den Lichtinseln entwickelte sich eine strukturreiche Verjüngung mit einer Durchmischung von Tanne, Buche, Bergahorn und Fichte. Herr Gambs wies auch an dieser Stelle darauf hin, dass aufkommende Buchen in oder neben Gruppen von Tannen bei der Pflege entfernt werden müssen, damit die Tannen nicht überwachsen werden.
Die Exkursion endete an einer mittlerweile einschürigen Waldwiese mit entsprechend reicher Flora an Blütenpflanzen. Auch derartige Waldwiesen sind ein Aspekt des Exkursionsthemas „Mehr Licht“. Hier schließt sich auch der Kreis zu den Forderungen aus der Zeit vor vierzig oder fünfzig Jahren. Damals wurden im Staatswald vielfach Wiesen als Äsungsflächen für das Wild angelegt, weil es im Wald oftmals zu dunkel war für die Bodenvegetation. Diese kleinen Oasen im Wald wurden vielfach aufgeforstet, weil sie abgelegen und entsprechend aufwändig zu bewirtschaften sind.