Keine Medikamente ins Abwasser
Weltweit boomt die Pharmaindustrie. Der Absatz alleine von Antibiotika hat sich zwischen 2000 und 2015 gemessen in Tagesdosen um 65% erhöht. Derzeit sind in Deutschland rund 2500 Wirkstoffe für den Einsatz am Menschen zugelassen, etwas über 400 Wirkstoffe für den Einsatz in der Tiermedizin. Und auch wenn die Gabe von Antibiotika in Deutschland in der Tiermedizin von 2011 bis 2019 um 60% gesunken ist, macht der Rest immer noch 670 Tonnen pro Jahr aus. Von den rund 1 200 Wirkstoffen mit möglicher Umweltrelevanz der Humanmedizin wurden im Jahr 2012 in Deutschland insgesamt 8120t verbraucht, wobei zwei Drittel auf nur 16 Wirkstoffe fallen, deren Verbrauch jeweils über 80t liegt.
Früher oder später scheidet der Körper alle Medikamente wieder aus, entweder unverändert oder als Abfallprodukt unseres Stoffwechsels (Metabolit). Die Anzahl der zu betrachtenden Stoffe erhöht sich dadurch weiter. In der Viehzucht eingesetzte Medikamente gelangen so mit der Gülle oder Festmist auf unsere Böden und von dort in den Wasserkreislauf.
Was wir schlucken und schmieren gelangt zunächst mit dem Abwasser in die Kläranlage. Dort wird über die Sedimentation jedoch nur ein Teil im Klärschlamm gebunden, der Rest geht wiederum über den Ausfluss in den Wasserkreislauf: Etliche Arzneimittelwirkstoffe zeichnen sich durch eine mäßige oder fehlende biologische Abbaubarkeit sowie eine erhöhte Wasserlöslichkeit und Mobilität im Untergrund aus, so dass eine vollständige Entfernung selbst in mehrstufigen Abwasserbehandlungsanlagen und weitergehenden Trinkwasseraufbereitungsanlagen nicht möglich ist.
Rückstände von Medikamenten (z.B. Diclofenac) sind flächendeckend im Ausfluss von Kläranlagen, in Gewässern, im Grundwasser und sogar im Trinkwasser nachweisbar. Noch scheint es hauptsächlich um ein Problem der Großstädte zu gehen. Im Wasserwerk Berlin-Tegel konnten 19 verschiedene Stoffklassen im Trinkwasser nachgewiesen werden. Die Zusammenhänge sind sehr unübersichtlich und schwer verständlich. München bezieht sein Trinkwasser aus dem Loisach- und Mangfalltal. Trotzdem konnte im Münchner Trinkwasser Gadolinium nachgewiesen werden, ein Metall, das zu 90% als Röntgenkontrastmittel verwendet wird.
Derzeit gibt es in Bayern keine flächendeckende Verpflichtung zur Untersuchung des Trinkwassers auf Medikamentenrückstände. Angesichts der aufwändigen Diagnostik und der Vielzahl an Stoffen wäre das gerade auch für kleinere Wasserversorger eine hohe Belastung.
Bisherige Ergebnisse aus Forschungsprojekten und speziellen Messprogrammen der Länderbehörden zeigen, dass in Deutschland mindestens 269 verschiedene Arzneimittelwirkstoffe, deren Metabolite oder Transformationsprodukte in der Umwelt nachgewiesen wurden. Sie wurden meist in Flüssen, Bächen oder Seen gemessen. In den meisten Fällen liegen die Konzentrationen im Bereich von 0,1 bis 1 Mikrogramm pro Liter (μg/l). Die gemessenen Konzentrationen im Roh- und Trinkwasser sind dabei in allen Fällen um mehrere Größenordnungen niedriger als die spezifischen therapeutischen Dosen von Arzneimitteln. Das kann uns jedoch nur bedingt beruhigen, denn es beantwortet nicht die Frage, ob auch oder gerade bei diesen Konzentrationen die Ausbildung resistenter Keime beschleunigt wird. Derzeit sterben jährlich rund 700 000 Menschen an Infektionen mit solchen Keimen. Wenn wir nichts tun, wird sich die Zahl bis 2050 auf geschätzte 10 Mio. pro Jahr erhöhen.
Medikamente sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken und an ihrer Ausscheidung aus dem Körper können wir nichts ändern. Trotzdem können wir etwas dafür tun, dass nicht mehr Wirkstoffe als unvermeidlich in den Wasserkreislauf gelangen. Eine repräsentative Untersuchung durch das Bundesforschungsministerium hat ergeben, dass im Jahr 2006 jeder siebte Bundesbürger seine nicht mehr benötigten Tabletten zumindest gelegentlich über die Toilette entsorgt. Flüssige Arzneimittelreste kippt sogar jeder Zweite bisweilen in den Ausguss oder die Toilette – 10% der Bevölkerung tun dies sogar immer. Dies ergibt eine abgeschätzte Menge von einigen hundert Tonnen Arzneimitteln, die unsachgemäß über Ausguss oder Toilette entsorgt werden.
Wenn Sie also Ihre guten Vorsätze umsetzen und Ihre Hausapotheke entrümpeln, tun Sie es bitte richtig. Abgelaufene Medikamente gehören in die Mülltonne, nicht in die Toilette. Alternativ können sie im Landkreis Traunstein beim Giftmobil abgegeben werden. Apotheken sind zur Rücknahme von Medikamenten nicht verpflichtet, tun dies aber in vielen Fällen trotzdem freiwillig. Unsere Mitwelt, vor allem die im Wasser lebende, dankt es Ihnen!